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2 PGF im gleichen KleidEinklappen
Dendrobates claudiae* und Phyllobates lugubris – zwei Pfeilgiftfrösche aus Panama im gleichen Kleid

Thomas Ostrowski

*Ranitomeya claudiae (sensu GRANT ET AL., 2006)

„Auf Bocas gibt es Dendrobates minutus, die sehen wie kleine Phyllobates lugubris aus!“ – Auf einer der vielen Börsen hörte ich von einem Froschhalter dieses Statement, das ich heute nicht nur bestätigen kann, sondern sogar in einem ganz anderen Licht sehe. Ich selbst war schon einige Male in Panama und auch auf den Bocas-Inseln und hatte dort nie Dendrobates minutus finden können. Laut der Aussage des Bekannten, der alles selber auch nur aus dritter Quelle wusste, sollten die Tiere aber überall leben und an Bananenstauden zu finden sein. Beim Studieren der Literatur stieß ich immer wieder auf Aussagen über das Vorkommen von Dendrobates sp. (MYERS & DALY 1980) bzw. Myniobates sp. (SUMMERS et al. 1997) auf den Bocas-Inseln, die der Dendrobates-minutus-Gruppe (SILVERSTONE 1975) zugerechnet werden. Im Jahr 2000 beschrieben dann JUNGFER, LÖTTERS & JÖRGENS mit Dendrobates claudiae, einen neuen Dendrobatiden aus Panama. Um so überraschter war ich, als ich erfuhr, von wo die Tiere stammten: Der Typenfundort liegt gegenüber der Insel Loma Partida, auf dem Festland der Provinz Bocas del Toro. Die Fotos der Erstbeschreibung zeigten kleine Frösche, die in ihrer Zeichnung stark Phyllobates lugubris SCHMIDT, 1857 ähnelten. Mein Interesse an diesen „neuen“ Dendrobates minutus, die keine waren, war geweckt. Es erschien mir merkwürdig, dass auf diesen viel besuchten Inseln eine neue Art so lange von Terrarianern unbeachtet geblieben sein sollte – gerade, wo doch die Bocas unter Froschbegeisterten wegen der enormen Farbenvielfalt des Erdbeerfröschchens (Dendrobates pumilio) so populär sind. Auf vier weiteren Reisen besuchte ich die Bocas-Inseln immer wieder und konnte viele Varianten des Erdbeerfröschchens beobachten und fotografieren. Auch Phyllobates lugubris konnte ich in einigen Varianten häufig beobachten. Die „Neuen“ fand ich jedoch nie! Im Frühjahr 2003 reiste ich nun zum siebten Mal nach Panama, um meine Fotosammlung an D. pumilio-Varianten zu vervollständigen. Während eines Tagesausfluges mit Thomas Reichelt, einem Deutschen, der auf den Bocas lebt, fuhren wir auch die Insel Popa an. Hier sollten seiner Auskunft nach auch Dendrobates claudiae leben. Nachdem wir mühsam den Mangrovengürtel der Insel durchquert hatten, keine 10 m vom Meer entfernt, fing Tom im Laub einen kleinen Frosch: ein Dendrobates claudiae. Mein erster Eindruck des etwa 15 mm großen Tieres im Fangbecher war allerdings ein anderer: blau marmorierter Bauch, zwei orangegelbe Lateralstreifen und ein schwarzer Rücken – es schien mir zunächst ein Jungtier von Phyllobates lugubris zu sein!

Abb.: Phyllobates lugubris von Cerro Brucho
Bei genauerem Hinsehen fielen mir und meinem amerikanischen Reisebegleiter Jeff Mettes aber doch einige Unterschiede zu Phyllobates lugubris auf. Die Unterschiede sind jedoch auf den ersten Blick gering, und ich war mir nicht zu 100 % sicher, die neue Art vor mir zu haben. Allerdings fanden wir eine für Phyllobates lugubris ungewöhnlich hohe Populationsdichte von etwa 2–3 Tieren pro m2 vor. Die Tiere waren auch alle etwa gleich groß, und es war kein vermeintlich adulter P. lugubris zu finden. Waren wir uns also schon recht sicher, D. claudiae gefunden zu haben, so überzeugte uns schließlich der Ruf. Es handelt sich um ein insektenartiges Zirpen von etwa 2–3 Sekunden Dauer, deutlich anders als das lange Trillern von P. lugubris. Aufgrund der Schwierigen Bestimmung entwickelte Jeff einen Merkmalsvergleich zum Unterscheiden beider Arten (METTES 2003), den ich hier erweitert wiedergebe:

• Für Dendrobates claudiae gilt: eine hellblaue bis weiße Fleckung auf schwarzem Grund vom Kinn bis zum Bauch und auf der Unterseite der Beine. Phyllobates lugubris hat eine ähnliche Zeichnung, besitzt aber meist eine schwarze Kehle, die D. claudiae immer fehlt.
• Die gelben bis goldgelben Dorsolateralbänder treffen bei D. claudiae oberhalb der Lippen in einem Punkt zusammen und formen oft ein V oder Y auf der Spitze der Schnauze. Bei P. lugubris läuft das Band rund um die Schnauze herum. Die Bänder verblassen bei D. claudiae vom Kopf zur Kloakenregion von gelb nach blassblau, während sie bei P. lugubris immer einfarbig gelb bis orange sind.
• Zwischen Dorsolateralband und Ventralband verläuft bei D. claudiae ein schmales Lateralband in blau schräg bis zum Vorderbein, das P. lugubris oft fehlt oder das bei ihm stark reduziert ist und eine gelbe Farbe aufweisen kann.
• Das Labialband (Streifen auf den Lippen) ist bei D. claudiae immer blau, bei P. lugubris oft gelb.
• Die Oberseiten der Oberschenkel sind bei D. claudiae braun und oft nur gering oder gar nicht marmoriert. P. lugubris zeigt eine deutliche abgesetzte Marmorierung in orange, gelb, grün oder blau auf schwarzem Grund. Achtung: Dendrobates claudiae auf Colón besitzen jedoch ebenfalls eine ausgeprägte Marmorierung!
D. claudiae besitzt Signalflecken an den Beinansätzen. Diese fehlen bei P. lugubris.
• Schließlich die Größe: Während P. lugubris 18–24 mm Kopf-Rumpf-Länge (KRL) erreicht, sind D. claudiae mit 13–15 mm KRL ausgewachsen und damit die bisher kleinsten Dendrobatiden überhaupt (JUNGFER et al. 2000).

Der Ruf von Dendrobates claudiae führte uns schließlich auch auf anderen Inseln zu dieser Art. Wir fanden Populationen auf Popa, Cerro Brucho und Colón. Hinweise für das Vorkommen auf Solarte und Bastimentos wurden für Bastimentos von METTES (2003) nach meiner Abreise bestätigt. Zusätzlich konnte er auf der Insel Cayo de Agua ein weiteres Vorkommen von D. claudiae nachweisen.

Verbreitungsgebiet von Ranitomeya claudiae
Die Erstbeschreibung gibt einen Fundort auf dem Festland bei Almirante an (JUNGFER ET AL. 2000), so dass die Art wohl in der ganzen Provinz Bocas del Toro verbreitet sein könnte. Wie konnte ein so häufiger und weit verbreiteter Frosch so lange der Terraristik unbekannt bleiben? Ich habe diesen Frosch möglicherweise schon selber auf vorherigen Reisen gesehen, ihn nur nie als eigene Art erkannt, sondern immer als Jungtiere von P. lugubris angesehen. Auch der Ruf gehört zur typischen Geräuschkulisse der Biotope, kann aber bei Unkenntnis leicht als Grillengezirpen gedeutet werden. So wie mir, erging es bestimmt etlichen anderen Froschbegeisterten, was sicher dazu beigetragen hat, dass Dendrobates claudiae lange Zeit verborgen blieb. D. claudiae lebt sowohl im Primärwald wie auch als „Kulturfolger“ in Kakaoplantagen. Wir fanden die Tiere oft sympatrisch mit anderen Dendrobatiden wie: D. auratus, D. pumilio, Colostethus flotator, Colostethus talamancae und Phyllobates lugbris In den von uns besuchten Biotopen waren sie immer! mit D. pumilio, P. lugubris und C. talamancae vergesellschaftet.

Abb. 4: Absatzstelle für Quappen von R. claudiae

Abb.: 5 Biotop von R. claudiae
Die Biotope lagen immer an Hängen. In Senken fanden wir nur D. pumilio und P. lugubris, aber nie D. claudiae. Bei Regen könnten die sehr kleinen Tiere in Senken vielleicht zu leicht dem Ertrinken ausgesetzt sein? Bei einsetzendem Regen verließen die Tiere dann auch sehr hektisch die Laubschicht, um höher gelegene Stellen aufzusuchen. Es war in den Biotopen immer sehr schattig und es gab kaum eine Krautschicht. Diffenbachien und Heliconien waren aber immer vorhanden. Besonders gerne halten sich die Männchen am Fuß von Heliconienstämmen auf, wo sie zwischen den trockenen Blättern rufen. Obwohl wir keine Quappen fanden, könnten Heliconien und Diffenbachien vielleicht auch wie bei D. pumilio als Aufzuchtgewässer dienen. Bromelien oder andere Phytothelmata, die häufig von Pfeilgiftfröschen für die Larvenaufzucht benutzt werden, konnten wir in keinem Biotop von D. claudiae nachweisen. Da die Art ausschließlich die Laubschicht bewohnt, sie klettern kaum über 20-30 cm Höhe hinaus, erscheint es mir wahrscheinlich, dass die Tiere wassergefüllte Laubblätter für die Larvenaufzucht benutzen. Bis Quappen und Jungfrösche nachgewiesen werden bleibt dies jedoch eine reine Vermutung! Auf Bäumen und höheren Pflanzen fanden wir keine Tiere.

Abb. 6: R. claudiae von Colón

Abb. 7: Phyllobates lugubris von Colón

Abb. 9: Ranitomeya claudiae von Popa
© 2003 Thomas Ostrowski


Abb. 10: Phyllobates lugubris von Bastimentos
© 2003 Thomas Ostrowski
Beobachtungen der wenig scheuen Tiere zeigten, dass die winzige Art nur sehr kleine Futtertiere überwältigen kann. Kleinste Gliedertiere wie Collembolen und Milben wurden gerne gefressen. Kleine fliegende Insekten, mit der Größe der kleinen Drosophila, wurden nicht gefressen und auch nicht beachtet. Die gemessene Tagestemperatur im Biotop betrug zwischen 24 °C am Morgen und 26 °C am Nachmittag. Nächtliche Messungen nahmen wir nicht vor, da Bootsfahrten bei Nacht zu gefährlich waren. Die Minimum-Temperatur sollte aber kaum unter 20°C liegen. Die Aktivitätsmaxima lagen am frühen Vormittag und in den späten Nachmittagsstunden. In der Mittagszeit und auch am frühen Morgen fanden wir keine Tiere, und auch Rufe waren nicht zu vernehmen. Zur Zeit unseres Besuches im März war es recht trocken. Der Boden unter der Laubschicht war aber feucht. Die Biotope lagen zwischen 2 und 20 m Höhe NN oft in direkter Nähe zum Meer. In den Biotopen waren oft Varianten des kleinen Blattsteigers P. lugubris mit Dendrobates claudiae vergesellschaftet. In ihrer jeweiligen Farbgebung und ihrer Zeichnung glichen sie sich oft verblüffend. Die Formen beider Arten der Insel Colón z. B. zeigen beide eine besonders orangegelbe Färbung der Lateralstreifen und der Beinmarmorierung und besitzen beide einen oft stark ausgeprägten Medianstreifen. Die Varianten von Cerro Brucho besitzen beide fast keine orange Marmorierung auf den Schenkeln und haben eher blassgelb gefärbte Lateralstreifen. Beide Arten zeigen hier meist keinen Medianstreifen, aber eine deutliche kurze Andeutung dessen am unteren Ende des Rückens. Es scheint mir gut möglich, dass die eine die andere Art imitiert. Am ehesten vermutlich D. claudiae P. lugubris, denn von Letzterem ist bekannt, dass er, wie alle anderen Phyllobates-Arten auch, das hochgiftige Batrachotoxin enthält (bei Dendrobates unbekannt; MYERS & DALY 1983). Eine noch ausstehende Untersuchung der Hautgifte von D. claudiae könnte hier vermutlich mehr Aufschluss geben. Wenn D. claudiae kein oder kaum Hautgift enthält, könnte eine sogenannte Batessche Mimikry vorliegen (hierbei imitiert eine „ungefährliche“ eine „gefährliche“ Art). Von einigen relativ stark giftigen Pfeilgiftfröschen ist aber auch bekannt, dass sie sich gegenseitig imitieren (Müllersche Mimikrie).

Nach Meinung von LÖTTERS (mdl. Mittteilung) ist es auch möglich das die helle Streifenzeichnung auf dunklem Grund, die ein evolutiv ursprüngliches (ancestrales) Merkmal der Pfeilgiftfrösche darstellt, von beiden Arten beibehalten wurde. Viele andere Froschlurche der Laubstreu weisen eine ähnliche Streifenzeichnung aus und sind dadurch scheinbar gut getarnt. Dieses Merkmal könnte sich dann im Lauf der Evolution verändert haben und zu den verschiedenen Varianten auf den Inseln geführt haben. Dass allerdings beide Arten auf einer bestimmten Insel dieselbe zufällige Abwandelung ihres Farbmusters in dieselbe Richtung durchgemacht haben, erscheint mir doch ein wenig zu viel des Zufalls. Zumal der Lebensraum der Frösche überall gleich erscheint und kaum die Richtung der Variantenbildung vorgegeben haben dürfte. Weitere Hypothesen bezüglich ähnlicher Farbgebung, wie die farbliche Anpassung an den Lebensraum oder die Beeinflussung der Färbung durch die Nahrungsaufnahme, erscheinen mir ebenfalls weniger plausibel, müssten aber, genau wie die Mimikry-Hypothese, geprüft werden.

Wie auch immer, der Entdeckung durch Terrarianer hat sich D. claudiae einige Zeit entziehen können. Für kleine Phyllobates lugubris hat sich nie jemand interessiert!


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Der Originalartikel erschien 2003 im Oktober/November Heft der REPTILIA® (Nr.43).

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